Mutter werden ist eine ganz tiefgreifende Veränderung im Leben und das kann auch mit mehr oder weniger stark ausgeprägten Ängsten einhergehen. Wie groß die Ängste letztendlich sind, hängt in gewissem Maße von den persönlichen Gegebenheiten und äußeren Einflüssen ab und kann von Frau zu Frau ganz unterschiedlich sein. Stress oder Angst kann schon deutlich weniger belastend sein, wenn man sich einfach eingesteht, dass man gestresst ist oder Angst hat. Wenn man spürt, dass das eigene Empfinden ernst genommen und respektiert wird, ist dies schon der erste Schritt, um eine gewisse Selbstsicherheit zurückzubekommen und wieder das Selbstvertrauen zu haben, das Sie brauchen.
MAM: Frau Tallet, erzählen Sie uns doch bitte kurz, wo während der Schwangerschaft Stress entstehen kann und welche Folgen das haben kann.
Camille Tallet: Naja, Schwangerschaft ist eine große Verantwortung, und das spüren alle Frauen, wenn auch die einen mehr als die anderen. Wenn Sie gestresst sind, leidet darunter Ihr persönliches Sicherheitsempfinden und das kann sich wiederum auf das wachsende Baby übertragen, auch wenn es noch gar nicht geboren ist.
MAM: Wie kommt das?
Camille Tallet: Schwanger sein heißt ja nicht nur körperliche Veränderung. Als werdende Mutter erlebt man auch psychologische und gesellschaftliche Veränderungen. Die meisten Frauen sagen, dass sie sich durch das Muttersein erfüllt fühlen und sie selbstbewusster sind; ein so tiefgreifender Umbruch kann einen aber auch verwundbar machen. Das ist nicht ungewöhnlich. Man geht derzeit davon aus, dass 20 % aller Frauen in der Schwangerschaft Ängste haben.
MAM: Was heißt das für Mutter und Kind?
Camille Tallet: Auf dem Gebiet der vorgeburtlichen Gesundheitsvorsorge weiß man seit einiger Zeit, dass Stress in Zusammenhang mit vorzeitiger Wehentätigkeit und geringem Geburtsgewicht steht. Studien an Tieren in den letzten 20 Jahren haben gezeigt, dass sich Stress auf die Entwicklung von Babys auswirkt. Die gute Nachricht ist, dass die mütterliche Fürsorge manche negative Auswirkungen nicht genetisch bedingter Veränderungen wettmachen kann. Die gleichen Beobachtungen hat man bei Menschen gemacht. Auch hier macht Stress in der Zeit vor der Geburt die Mütter verwundbarer, was sich wiederum auf die emotionale, soziale und kognitive Entwicklung des Kindes auswirkt. Stress führt außerdem zu einem höheren Risiko für Wochenbettdepressionen und post-traumatische Belastungsstörungen sowie unter Umständen zu problematischer Wehentätigkeit, die eine besondere Betreuung erfordert.
MAM: Hat das Stressempfinden natürliche Ursachen oder ist es ein Produkt äußerer Einflüsse?
Camille Tallet: Es ist von beidem ein bisschen, ein entscheidender Faktor ist jedoch, wie der Körper einer Frau funktioniert. Fühlt sich die Mutter gestresst, produziert sie sehr viel Kortisol und die Plazenta erfüllt ihre Schutzfunktion gegen das Eindringen des Hormons nicht. Zusätzlich zu dem Kortisol sondert die Plazenta das Hormon CRH (Corticotropin-Releasing Hormone) ab, welches zum Fötus weitergeleitet wird. Wir wissen, dass CRH Wehen auslösen kann, wodurch eine Frühgeburt begünstigt werden kann. Denn dieses Hormon regt die Produktion von Prostaglandinen und Oxytocin an, die wiederum Kontraktionen des Gebärmuttermuskels auslösen können.