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Nuckeln als eine Ressource und die Parallelen zur Traditionellen Chinesischen Medizin

Silvia Miraziz, MSc


Um einem Säugling ein möglichst gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, ist es wichtig, seine individuellen Bedürfnisse zu erkennen und zu differenzieren. Eine klare Trennung zwischen Nuckeln und Saugen ist unbedingt festzuhalten, da beide ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen und daher zwei verschiedene Bedürfnisse decken.

Das Nuckeln, auch als Non-Nutritive Sucking (NNS) bekannt, hat eine beruhigende Funktion auf Säuglinge und Kleinkinder. Sich selbst beruhigen zu können, ist eine Eigenschaft, die Selbstverantwortung fordert und daher kann das Nuckeln zu einer Ressource im psychologischen Sinne erklärt werden. Es handelt sich hierbei um eine Fähigkeit oder Kompetenz unangenehme Einflüsse von innen wie auch von außen zu reduzieren. Besonders, da das Nuckeln am Daumen schon in der embryonalen Entwicklungsphase stattfindet, in der die Ernährung durch die Nabelschnur erfolgt. Daher wird vermutet, dass das Nuckeln am Daumen keinen Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme hat und offensichtlich eine andere Funktion erfüllen muss.

Auch in der Natur wird beobachtet, dass Säugetiere, wie zum Beispiel Affen, ebenso am Daumen nuckeln.

Die Zunge in direkter Verbindung mit dem zentralen Nervensystem

Wenn wir das Nuckeln näher analysieren wird deutlich, dass ein Druck auf Zunge und Gaumen erzeugt wird. Dieser Druck wird stärker je mehr Widerstand zwischen Zunge und Gaumen vorhanden ist, wie zum Beispiel ein Daumen oder ein Schnuller. Zusätzlich wird durch das Nuckeln eine rhythmische Bewegung erzeugt. Das führt zu einer Neurostimulation der Zunge, da sich auf der Zunge ca. 50.000 Nervenenden befinden und diese eine direkte Verbindung zum zentralen Nervensystem haben (Doiges, 2015). Bestimmte Punkte auf der Zunge und am Gaumen werden durch das Nuckeln stimuliert und ähnlich einer Akupressur werden die Meridiane aktiviert, die zu einer Selbstregulation führen. 

In der jahrtausendealten Lehre der TCM wird eine sogenannte Zungendiagnose vorgenommen. Die Meridiane bzw. die Energiebahnen oder auch die Nervenbahnen verbinden Zunge und Organe miteinander. Laut TCM ist der gesamte Mensch auf der Zunge abgebildet, ebenso wie in der Handfläche, den Fußsohlen und in der Ohrmuschel. Die Zunge ist in Areale eingeteilt (siehe Grafik) und ein Spiegel dessen, was im gesamten Körper vorgeht. Daher kann der Zustand wichtiger Organe an der Zunge erkannt werden. Auch die Milz- und Nierenmeridiane enden an der Wurzel der Zunge (Kaptchuk, 2006, S. 105, S. 112).

Parallelen zu Formen der Bewegungstherapie

Seit mehr als tausend Jahren haben sich verschiedene Formen der Bewegungstherapie immer mehr verbreitet, ob Qi-Gong, Taekwondo, Shiatsu, Tai Chi, DO-IN, Akupunktur, Akupressur, Atemtherapie oder Yoga, sie alle finden, bis zum heutigen Tag in der westlichen Gesellschaft wachsende Beliebtheit und wirken positiv auf Körper und Geist. In allen erwähnten fernöstlichen Bewegungstechniken wird die Zunge am Gaumen platziert. Dadurch wird der Energiekreislauf geschlossen und das Fließen des Qi in den Meridianen aktiviert. Diese Platzierung ähnelt in seiner Wirkung dem Nuckeln an einem Schnuller.

Beruhigung, Konzentration und Regeneration durch Nuckeln!

Durch die „Zunge am Gaumen“ Übung kann eine allgemeine Beruhigung und Entspannung sowie Konzentrations- und Leistungssteigerung erzielt werden. Abgesehen von der physischen Gesundheit, wie die der Atemwege, führt sie auch zu einer Verringerung von körperlichen Schmerzen. Sehr vereinfacht gesagt stimuliert der Druck, der auf dem weichen Gaumen und der Zungenspitze wirkt, den Vagus-Nerv, sodass ein Entspannungsreflex ausgelöst wird. Dabei kommen Körper und Geist zur Ruhe und eine Regeneration wird eingeleitet. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass es sich hier um eine Art Schaltfunktion zur Aktivierung der Selbstregulierung und der Regeneration sowie zur Wiederherstellung des Gleichgewichts, bzw. zur Reorganisation des Körpers handeln kann. Diese weisen eine deutliche Ähnlichkeit mit dem Nuckeln auf. Daher kann daraus auf die Wirkung von Nuckeln geschlossen werden, denn durch eine Stimulation der Zunge und des Gaumens durch das Nuckeln wird die gleiche Aktivierung der Gehirnbereiche über die Verbindung des Vagus-Nervs erzeugt. Es ist logisch und nachvollziehbar, dass es sich hier um eine Ressource handelt, die aus dem pränatalen und Säuglingsalter stammt und die alle fernöstlichen Bewegungstechniken seit tausenden von Jahren zu nutzen wissen.

Silvia Miraziz, MSc

Psychotherapeutin

Silvia Miraziz, MSc. Psychotherapeutin-Integrative Gestalttherapie, Trainerin in der Erwachsenenbildung und Geologin. (AT) Seit 2004 Mitglied der Son Jong Ho Classic Taekwondo Federation Europe. Im www.PsyOnline.at/pid/147406. Sie entwickelte die BNSO© (Brain Neurostimulation and Self-regulation Optimiser) Methode.  

DOIDGE Doiges (2015): Wie das Gehirn Heilt. Neueste Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft. (How the brain heals. The latest findings from neuroscience.) Frankfurt/New York: Campus Verlag. (p. 215, 286 and 291).
KAPTCHUK Ted J. (2008): Das große Buch der Chinesischen Medizin. (The big book of Chinese Medicine) Frankfurt am Main: Fischer Verlag. 
MACIKOCCIA Giovanni (1994): The Foundations of Chinese Medicine. A Comprehensive Text for Acupuncturists and Herbalists. Kötzting/Bayer: Publisher for TCM, Dr. Erich Wühr, Wald. 
MICHIO Kushi (1994): DO-IN. Exercise for Physical and Spiritual Development. Münster: Verlag Mahajiva, (the original version was published in Japan in 1979). 
TRÖKES, Anna, STEINER Ronald (2012): Yoga für Fortgeschrittene. (Advanced Yoga). Munich: Gräfe und Unszer Verlag. 
VOTSMEIER-Röhr, A. (2004): Selbstregulierung in der Gestalttherapie. (Self-regulation in gestalt therapy). Geisler, P. (Pub.): Gießen: Psychosozial-Verlag 
VOTSMEIER-Röhr, A. (2011): Gestalttherapie und Neurowissenschaft. (Gestalt Therapy and Neuroscience). Göttingen: Reinhardt Ernst.