Scientific article

Prävention von Schreibabys

Magdalena Kelaridis


Was sind Schreibabys?


Laut DGKJ und dem öffentlichen Gesundheitsportal Österreichs2  gilt ein Baby als Schreibaby, wenn es an mehr als drei Tagen pro Woche über mehr als drei Wochen hinweg mehr als drei Stunden am Tag weint. Das Baby weint plötzlich, ohne erkennbaren Grund und beginnt etwa ab der zweiten Lebenswoche, wobei das Schreien oft gegen Ende des dritten Lebensmonats abklingt. Einige Schreibabys weinen jedoch noch extensiv im sechsten oder bis zum neunten Lebensmonat. Das Baby ist untröstlich, zeigt Symptome wie zusammengeballte Hände, angezogene Beine, gerötetes Gesicht, harten Bauch und/ oder Blähungen.

In vielen Fachartikeln wird erwähnt, dass die genaue Ursache nicht eindeutig geklärt ist, allerding hat sich die Wissenslage in den letzten Jahren geändert. Es ist hervorzuheben, dass nicht jedes weinende Baby zwangsläufig eine Regulierungsstörung hat. Dies ist die Schwierigkeit eines Babys, das eigene Verhalten in verschiedenen Situationen nicht gut kontrollieren und anpassen zu können, was sich durch exzessives Schreien, Schlafstörungen oder Fütterprobleme, äußert. Aus der prä- und perinatalen Psychologie, der Geburtspsychologie und aus der Epigenetik wissen wir, dass das exzessive Weinen von Babys auf die Erlebnisverarbeitung zurückzuführen ist. Außerdem ist bei Babys, die viel Stress in der Schwangerschaft erlebt haben, oder wo die Geburt traumatisch war, das Nervensystem sehr angespannt. Normalerweise regulieren sich Babys bereits im Mutterleib selbst. Sie lutschen am Daumen, weichen bei einer Amniozentese den Nadeln aus und haben einige weitere Möglichkeiten sich zu schützen. Laut der Polyvagal-Theorie3  kann eine häufige Abweichung der Mutter vom Bereich der „optimalen Erregung“ (Window of tolerance, Dr. Dan Siegel)4 während der Schwangerschaft dazu führen, dass das Baby ständig mit Cortisol überflutet wird. Dies kann nicht nur die Gehirnstruktur des Babys beeinträchtigen, sondern auch das zentrale Nervensystem.
Nach der Geburt ist das Baby besonders anfällig für Überwältigung und muss seine prä- und perinatalen Erfahrungen verarbeiten. Es benötigt vermehrt Unterstützung von den Eltern im Vergleich zu anderen Babys, deren Schwangerschaft und Geburt mit weniger Stress und Interventionen verbunden war. Da Babys am Anfang neben der non-verbalen Kommunikation nur durch Weinen oder Schreien kommunizieren können, weinen gestressten Babys mehr als andere.

Problematisch ist es dahingehend auch, dass es Veränderungen in der Amygdala mit sich bringt, die für die Verarbeitung von Emotionen und Stress verantwortlich ist.

Bindungsanalyse & frühe Mutter-Kind-Bindung

 Einige Pioniere5 haben sich intensiv damit beschäftigt, welche Erfahrungen Babys bereits im Mutterleib und bei der Geburt machen. Dieses Wissen ermöglicht ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen den Erfahrungen des Babys und seinem Schreiverhalten. G. Hidas und J. Raffai haben herausgefunden, dass die Anwendung der Bindungsanalyse in der Schwangerschaft dazu führt, dass weniger Schreibabys auftreten6 . Diese positive Wirkung lässt sich dadurch erklären, dass die Bindungsanalyse dazu beiträgt, die Belastung in der Schwangerschaft und während der Geburt für das Kind zu verringern. Zudem ermöglicht sie eine intuitivere Kommunikation zwischen Mutter und Baby, wodurch die Mutter ihr Baby leichter versteht. Dies führt auch dazu, dass das Baby weniger weinen muss, um von der Mutter "verstanden" zu werden.

Psychische Belastung der Eltern durch Schreibabys

Die psychische Belastung für Eltern ist enorm. Hilflosigkeit, Überforderung, Frustration, Stress, Schlafmangel und emotionale Erschöpfung sind nur einige der Herausforderungen mit denen Eltern konfrontiert sind. Das Risiko für postnatale Depressionen und Trennung der Eltern ist ebenfalls erhöht. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Ärzt:innen, Hebammen und andere Fachkräfte aufmerksam sind und gezielt nach dem Befinden der Eltern fragen. Wenn sich herausstellt, dass es sich um ein Schreibaby handeln könnte, ist es hilfreich, die Eltern an entsprechende Fachkräfte zu vermitteln. Eine frühzeitige Identifizierung und gezielte Unterstützung können die Belastungen für die Eltern verringern. Es ist entscheidend, dass Eltern Zugang zu Informationen, Beratung und Hilfe erhalten, um ihre psychische Gesundheit zu schützen und die Familie während dieser herausfordernden Zeit zu unterstützen.

Präventive Maßnahmen

Prävention ist in diesem Bereich möglich. Eine Maßnahme ist die noch wenig bekannte Bindungsanalyse von Hidas & Raffai.
 Bei dieser Begleitung während der Schwangerschaft wird die emotionale Kommunikation zwischen der Mutter und ihrem ungeborenen Kind gefördert. Durch gezielte Übungen und Gespräche lernt die Mutter die Signale ihres Kindes wahrzunehmen und darauf einzugehen. Dadurch entsteht eine tiefe und vertrauensvolle Beziehung, die beiden Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Weiters beschäftig sich die Mutter mit ihren eigenen prä- und perinatalen Erlebnissen, sowie mit der Geburt. Dies reduziert Stress und Ängste. Laut WHO7, leiden 20% aller Frauen an postnatalen Depressionen. Frauen, die mit Bindungsanalyse begleitet wurden, haben hingegen ein Risiko von lediglich 1,3%7 an postnataler Depression zu erkranken. Dank der Bindungsanalyse werden Geburtsbelastungen für Mutter und Kind gesenkt, die Kaiserschnittrate auf 18% reduziert, die Frühgeburtenrate liegt bei nur 1,7%8   (EU Benchmark-Report 2009/2010: Durchschnitt EU 7,1%)9  und die Wahrscheinlichkeit ein Schreibaby zu haben wird auf 0,3%7 reduziert. Verglichen dazu gelten laut der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ca. 20% aller Neugeborenen als Schreibabys10 .
Schreibabys sind oft das Resultat von Schwangerschafts- und Geburtsbelastungen, die das Nervensystem des Kindes überfordern und sich durch Weinen mitteilen. „Mit der Bindungsanalyse schreien Babys nach der Geburt meist weniger als zwanzig Minuten pro Tag - ein deutlicher Beleg für eine geringere Geburtsbelastung “11, schreibt Dr.med.Gerhard Schroth, in Einführung in die Bindungs-Analyse nach Jenö Raffai.


Auch der andere Elternteil kann in der Schwangerschaft positiv zur Bindung beitragen. Anbei einige Ideen:

  •  Massagen -Beiwohnen von Untersuchungen und fungieren als Sprachrohr für Mutter & Kind, z.B.: durch VRANNI Fragen12 .
  • Abnehmen von Arbeit psychischer und physischer Natur, organisieren, und recherchieren, damit die psychische Belastung der Mutter reduziert wird. 
  • Informationen einholen bei Ärzten oder Fachpersonal.
  •  Ein positives, stressfreies Umfeld für Mutter und Kind schaffen.
  • Beziehung bereits pränatal mit dem Baby aufbauen.

     Als Fachpersonal, das mit Schwangeren arbeitet, können Sie einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Schreibabys und zur Förderung der Mutter-Kind-Bindung leisten, indem Sie Schwangere an eine*n Bindungsanalytiker*in (Prenatal Bonding Analysis after Hidas & Raffai) verweisen.

 Verweisungsstellen und Netzwerk

Als erste Ansprechperson für Eltern ist es wichtig, Verweisungsstellen und ein Netzwerk zu haben, an die Eltern verwiesen werden können. Diese Verweisungsstellen können Schreiambulanzen13 , Cranio Sacral Therapeut*innen, Baby Therapie Berater*innen14 , Bindungsanalytiker*innen15, Hebammen mit spezifischen Zusatzausbildungen und andere Fachkräfte und Stellen sein. Ein gut funktionierendes Netzwerk erleichtert den Eltern den Zugang zu den benötigten Ressourcen.

Magdalena Kelaridis

Diplom Lebens- und Sozialberaterin, Bindungsanalytikerin

Magdalena Kelaridis ist Diplom-Lebens- und Sozialberaterin, Bindungsanalytikerin in Ausbildung unter Supervision und Prenatal and Perinatal Educator (PPNE) in Ausbildung unter Supervision. Sie hat einen Bachelor in Psychologie und hat sich in verschiedenen Diplomlehrgängen auf die Themen Epigenetik, vorgeburtliche Erfahrungen, Geburtserfahrungen und ihre Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung und mentale Gesundheit spezialisiert.
 Ihr Ziel ist es, präventiv zu arbeiten, damit Kinder einen Start ins Leben bekommen, der nicht geprägt ist von den Mustern und vererbten Traumata ihrer Eltern, sondern ihnen ermöglicht, sich frei zu entfalten und ein glückliches und mental gesundes Leben zu führen.
Sie ist Mutter von drei Kindern, darunter ein Schreibaby, was einer der Gründe war, diesen Weg einzuschlagen. Sie bietet Schwangerschaftsbegleitung, Elternberatung und Workshops zu verschiedenen Themen rund um die vorgeburtliche und frühe Bindung an.
 Sie ist erreichbar unter
www.kelaridis.atoffice@kelaridis.at oder +43 699 10 82 38 02.

1 https://www.dgkj.de/eltern/dgkj-elterninformationen/elterninfo-schreibaby#:~:text=Man%20spricht%20von%20einem%20Schreibaby,nur%20als%20grober%20Richtwert%20dienen (Zugriff: 09.08.2023)

2 https://www.gesundheit.gv.at/leben/eltern/nach-der-geburt/schreibaby.html (Zugriff: 09.08.2023)

3 Porges, S.W.(2021). Die Polyvagal-Theorie und die Suche nach Sicherheit. Traumabehandlung, soziales Engagement und Bindung. Gespräche und Reflexionen zur Polyvagal-Theorie. Probst. G.P.Verlag.

4 https://www.attachment-and-trauma-treatment-centre-for-healing.com/blogs/understanding-and-working-with-the-window-of-tolerance (Zugriff: 09.08.2023)

5Otto Rank („Das Trauma der Geburt“), Karlton Terry („Vom Schreien zum Schmusen, Vom Weinen zur Wonne“), Ray Castellino („WombSurround Workshops“), William Emerson, Christian Rittelmeyer („Frühe Erfahrungen des Kindes, Seele des Kindes vor, während und nach der Geburt“), György Hidas und Jenö Raffai (Entwickler der Bindungsanalyse-Vorgeburtliche Schwangerschaftsbegleitung), David B. Chamberlain, et al.

6 https://www.schroth-apv.com/Bilder/BindungsAnalyse_dt_schroth-apv.pdf (Zugriff: 08.08.2023)

7https://www.who.int/teams/mental-health-and-substance-use/promotion-prevention/maternal-mental-health (Zugriff 05.08.2023)

8Görtz-Schroth, A. Fortschritte in Schwangerschaft und Geburt durch Bindungsanalyse (S.10-17)

9 https://www.efcni.org/wp-content/uploads/2018/03/
german_translation_of_benchmarking_report.pdf (Zugriff: 09.08.2023)

10 Blazy, H. (2022). Bindung im und Trennung vom ersten Zuhause, (S.10-17). Mattes Verlag.

11 (Einführung in die Bindungsanalyse . Homepage Dr. Schroth 31210 rev.) (schroth-apv.com) (Zugriff: 08.08.2023)

12VRANNI: Fragen: V: Welche Vorteile hat die Maßnahme?, R: Welche möglichen Risiken/Folgen gibt es?, A: Gibt es Alternativen? Wenn ja welche? Welche Risiken/Folgen haben sie?, N: Was kann passieren, wenn wir nichts tun?, N: Handelt es sich um einen Notfall? Wie schnell muss die Entscheidung getroffen werden?, I: Was sagt unser Bauchgefühl?

13https://www.familienhandbuch.de/unterstuetzungsangebote/beratung/schreiambulanzen.php, https://www.elternsein.info/suche-schreiambulanzen/, https://www.gesundheit.gv.at/leben/eltern/nach-der-geburt/schreiambulanz.html, (Zugriff: 08.08.2023)

14 https://www.ippe.at/babytherapy/ (Zugriff: 08.08.2023)

15 www.kelaridis.at (Zugriff: 08.08.2023)

Weiterführende Literatur

Bergh, B. R. H. V. den et al. (2020). Prenatal developmental origins of behavior and mental health: The influence of maternal stress in pregnancy. Neurosci. Biobehav. Rev. 117, 26–64.

 Schaal, B., Orgeur, P., & Rognon, C. (1995). Odor sensing in the human fetus: Anatomical, functional, and chemoecological bases. In Lecanuet, J.-P., Fifer, W.P., Krasnegor, N.A. & Smotherman, W.P. (Eds.), Fetal development: A psychobiological perspective (205–237). Lawrence Erlbaum Associates, Inc. 

 Roffwarg, H. P., Muzio, J. N. & Dement, W. C. (1966). Ontogenetic Development of the Human Sleep-Dream Cycle. Science 152, 604–619.

  Hidas, G., Raffai, J. & Vollner, J. (2021). Nabelschnur der Seele: Psychoanalytisch orientierte Förderung der vorgeburtlichen Bindung zwischen Mutter und Baby. (3. Aufl.). Psychosozial-Verlag.

 Raffai, J. (2015) Gesammelte Aufsätze. Entwicklung der Bindungsanalyse (1.Auflg). Mattes Verlag. 

 Hildebrandt, S. und Blazy, H. (2015). Schwangerschaft und Geburt prägen das Leben (1.Aufl.). Mattes Verlag. 

 Weinstein, A. (2016). Prenatal development and parents' lived experiences: How early events shape our psychophysiology and relationships (1.Auflg.). W. W. Norton & Company.

 Verny, T. & Weintraub, P. (2003). Pre-Parenting: Nurturing your child from conception. New York: Simon & Schuster.

 Porges, S. (2004). Neuroception: A Subconscious System for Detecting Threats and Safety, Journal Zero to Three 24 (5), 19-24.(Zugriff: 09.08.2023)