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Beraten statt Verbieten: Die neue WHO-Baby-Friendly Hospital Initiative

Interview mit Prof. Dr. Reinhold Kerbl


Im Interview mit MAM spricht der renommierte Kinderarzt Prim. Univ.-Prof. Dr. Reinhold Kerbl, Vorstand der Abteilung für Kinder und Jugendliche am LKH Leoben (AT), über die kürzlich aktualisierten Leitlinien der WHO zum Thema Stillen.

MAM: Warum hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO – World Health Organization) die Baby-Friendly Hospital Initiative ursprünglich gestartet?

Kerbl: Die BabyFriendly Hospital Initiative (BFHI) startete 1991. Das Ziel der BFHI war es, Mütter zu motivieren, ihre Neugeborenen und Säuglinge – vor allem in den ersten sechs Monaten – möglichst vollständig mit Muttermilch zu ernähren. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden verschiedene Maßnahmen schriftlich festgelegt. Dazu zählte unter anderem das „Verbot“ von Babyflaschen und der Verwendung eines Schnullers in den ersten sechs Lebensmonaten des Säuglings. Dies geschah unter der Annahme, dass sowohl die Verwendung einer Babyflasche mit Sauger, als auch ein Schnuller das Stillen behindern könnten.

Im April 2018 wurde nun eine überarbeitete Version der BFHI publiziert – was sind die wichtigsten Neuerungen dieser WHO-Initiative?

Kerbl: In der neuen Version wurden einige „Verbote“ zurückgenommen. So sieht die überarbeitete BFHI Babyflaschen und Schnuller zwar noch immer zurückhaltend, untersagt sie aber nicht mehr grundsätzlich. Schritt 9 der „Zehn Schritte zum erfolgreichen Stillen“ wurde abgeändert auf „Beratung von Müttern zur Verwendung von künstlichen Saugern und den damit verbundenen Risiken “, statt wie bisher „Gestillten Kindern keine künstlichen Sauger geben.“

Warum wird der Einsatz von Schnullern und Flaschen in der überarbeiteten BFHI nicht mehr „verboten“?

Kerbl: In den vergangenen Jahren wurden mehrere Studien publiziert, die für die Verwendung von Schnullern und Flaschen keine wesentlichen Nachteile für das Stillen nachweisen konnten.1 Damit ist für ein solches „Verbot“ keine Evidenz mehr gegeben. Bei Frühgeborenen wurde sogar ein positiver Zusammenhang zwischen Schnuller Verwendung und verkürzter Dauer des Klinikaufenthalts festgestellt. Zusätzlich sollte man auch erwähnen, dass Schnuller als Vorbeugung gegen den Plötzlichen Kindstod empfohlen werden.

Auch die „Zehn Schritte zum erfolgreichen Stillen“ innerhalb der BFHI wurden überarbeitet – was sind die wichtigsten Neuerungen?

Kerbl: Vor allem stellen die „Zehn Schritte zum erfolgreichen Stillen“ verstärkt auf die individuellen „Skills“ der Stillberaterinnen ab. Diese werden als wichtiger erachtet als das strikte Vorgehen nach einem bestimmten Ausbildungscurriculum, weil den Beratenden dadurch mehr Möglichkeiten für die erfolgreiche Umsetzung ihrer Arbeit offenstehen.

Wie beurteilen Sie die überarbeiteten Richtlinien der BFHI?

Kerbl: Diese neue Version ist eine sinnvolle Modifikation der Richtlinie. Nun wurden vormals „militant“ propagierte Ansichten evidenzbasiert relativiert. „Counseling instead of prohibiting“ – also etwa „Beraten statt verbieten“ berücksichtigt auch mögliche Bedürfnisse von Neugeborenen und Säuglingen. Dabei kann es sich auch um medizinische Bedürfnisse handeln, wie z.B. unzureichende Milchbildung. Außerdem wird die individuelle Entscheidungsfähigkeit junger Eltern verstärkt berücksichtigt. Das wichtigste Ziel bleibt auch in der überarbeiteten Version der BFHI das Erreichen einer möglichst hohen Stillrate und die Verwendung von Muttermilch. Dieses Ziel soll flächendeckend umgesetzt werden. Denn laut WHO könnte generelles Stillen in den ersten beiden Lebensjahren weltweit immerhin mehr als 800.000 Leben jährlich retten.2

Prof. Dr. Reinhold Kerbl

Pädiater
Prof Dr. Reinhold Kerbl ist Vorstand der Abteilung für Kinder und Jugendliche am LKH Leoben (AT), und einer der führenden deutschsprachigen Experten im Bereich Pädiatrie. Prof. Kerbl hat mehrere Auszeichnungen für seine Arbeiten erhalten. 

1Jaafar, S. H., Ho, J. J., Jahanfar, S., & Angolkar, M. (2016). Effect of restricted pacifier use in breastfeeding term infants for increasing duration of breastfeeding. The Cochrane Library.
2Source: 
www.who.int/features/factfiles/breastfeeding/en/