In vielen Fachartikeln wird erwähnt, dass die genaue Ursache nicht eindeutig geklärt ist, allerdings hat sich die Wissenslage in den letzten Jahren geändert. Es ist hervorzuheben, dass nicht jedes weinende Baby zwangsläufig eine Regulierungsstörung hat. Dies ist die Schwierigkeit eines Babys, das eigene Verhalten in verschiedenen Situationen nicht gut kontrollieren und anpassen zu können, was sich durch exzessives Schreien, Schlafstörungen oder Fütterprobleme, äussert. Aus der prä- und perinatalen Psychologie, der Geburtspsychologie und aus der Epigenetik wissen wir, dass das exzessive Weinen von Babys auf die Erlebnisverarbeitung zurückzuführen ist. Ausserdem ist bei Babys, die viel Stress in der Schwangerschaft erlebt haben, oder wo die Geburt traumatisch war, das Nervensystem sehr angespannt. Normalerweise regulieren sich Babys bereits im Mutterleib selbst. Sie lutschen am Daumen, weichen bei einer Amniozentese den Nadeln aus und haben einige weitere Möglichkeiten sich zu schützen. Laut der Polyvagal-Theorie3 kann eine häufige Abweichung der Mutter vom Bereich der „optimalen Erregung“4 (Window of tolerance, Dr. Dan Siegel) während der Schwangerschaft dazu führen, dass das Baby ständig mit Cortisol überflutet wird. Dies kann nicht nur die Gehirnstruktur des Babys beeinträchtigen, sondern auch das zentrale Nervensystem. Nach der Geburt ist das Baby besonders anfällig für Überwältigung und muss seine prä- und perinatalen Erfahrungen verarbeiten. Es benötigt vermehrt Unterstützung von den Eltern im Vergleich zu anderen Babys, deren Schwangerschaft und Geburt mit weniger Stress und Interventionen verbunden war. Da Babys am Anfang neben der non-verbalen Kommunikation nur durch Weinen oder Schreien kommunizieren können, weinen gestresste Babys mehr als andere.
Problematisch ist es dahingehend auch, dass es Veränderungen in der Amygdala mit sich bringt, die für die Verarbeitung von Emotionen und Stress verantwortlich sind.
Einige Pioniere5 haben sich intensiv damit beschäftigt, welche Erfahrungen Babys bereits im Mutterleib und bei der Geburt machen. Dieses Wissen ermöglicht ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen den Erfahrungen des Babys und seinem Schreiverhalten. G. Hidas und J. Raffai haben herausgefunden, dass die Anwendung der Bindungsanalyse in der Schwangerschaft dazu führt, dass weniger Schreibabys auftreten6. Diese positive Wirkung lässt sich dadurch erklären, dass die Bindungsanalyse dazu beiträgt, die Belastung in der Schwangerschaft und während der Geburt für das Kind zu verringern. Zudem ermöglicht sie eine intuitivere Kommunikation zwischen Mutter und Baby, wodurch die Mutter ihr Baby leichter versteht. Dies führt auch dazu, dass das Baby weniger weinen muss, um von der Mutter "verstanden" zu werden.
Prävention ist in diesem Bereich möglich. Eine Massßnahme ist die noch wenig bekannte Bindungsanalyse von Hidas & Raffai.
Bei dieser Begleitung während der Schwangerschaft wird die emotionale Kommunikation zwischen der Mutter und ihrem ungeborenen Kind gefördert. Durch gezielte Übungen und Gespräche lernt die Mutter die Signale ihres Kindes wahrzunehmen und darauf einzugehen. Dadurch entsteht eine tiefe und vertrauensvolle Beziehung, die beiden Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Weiters beschäftig sich die Mutter mit ihren eigenen prä- und perinatalen Erlebnissen, sowie mit der Geburt. Dies reduziert Stress und Ängste. Laut WHO7, leiden 20% aller Frauen an postnatalen Depressionen. Frauen, die mit Bindungsanalyse begleitet wurden, haben hingegen ein Risiko von lediglich 1,3%7 an postnataler Depression zu erkranken. Dank der Bindungsanalyse werden Geburtsbelastungen für Mutter und Kind gesenkt, die Kaiserschnittrate auf 18% reduziert, die Frühgeburtenrate liegt bei nur 1,7%8 (EU Benchmark-Report 2009/2010: Durchschnitt EU 7,1%)9 und die Wahrscheinlichkeit ein Schreibaby zu haben wird auf 0,3%7 reduziert. Verglichen dazu gelten laut der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ca. 20% aller Neugeborenen als Schreibabys10.
Schreibabys sind oft das Resultat von Schwangerschafts- und Geburtsbelastungen, die das Nervensystem des Kindes überfordern und sich durch Weinen mitteilen. „Mit der Bindungsanalyse schreien Babys nach der Geburt meist weniger als zwanzig Minuten pro Tag - ein deutlicher Beleg für eine geringere Geburtsbelastung11 “, schreibt Dr.med.Gerhard Schroth, in Einführung in die Bindungs-Analyse nach Jenö Raffai.
Auch der andere Elternteil kann in der Schwangerschaft positiv zur Bindung beitragen. Anbei einige Ideen:
Als erste Ansprechperson für Eltern ist es wichtig, Verweisungsstellen und ein Netzwerk zu haben, an die Eltern verwiesen werden können. Diese Verweisungsstellen können Schreiambulanzen13, Cranio Sacral Therapeut*innen, Baby Therapie Berater*innen14 , Bindungsanalytiker*innen15 , Hebammen mit spezifischen Zusatzausbildungen und andere Fachkräfte und Stellen sein. Ein gut funktionierendes Netzwerk erleichtert den Eltern den Zugang zu den benötigten Ressourcen.
1 https://www.dgkj.de/eltern/dgkj-elterninformationen/elterninfo-schreibaby#:~:text=Man%20spricht%20von%20einem%20Schreibaby,nur%20als%20grober%20Richtwert%20dienen (Zugriff: 09.08.2023)
2 https://www.gesundheit.gv.at/leben/eltern/nach-der-geburt/schreibaby.html (Zugriff: 09.08.2023)
3 Porges, S.W.(2021). Die Polyvagal-Theorie und die Suche nach Sicherheit. Traumabehandlung, soziales Engagement und Bindung. Gespräche und Reflexionen zur Polyvagal-Theorie. Probst. G.P.Verlag.
4 https://www.attachment-and-trauma-treatment-centre-for-healing.com/blogs/understanding-and-working-with-the-window-of-tolerance (Zugriff: 09.08.2023)
5 Otto Rank („Das Trauma der Geburt“), Karlton Terry („Vom Schreien zum Schmusen, Vom Weinen zur Wonne“), Ray Castellino („WombSurround Workshops“), William Emerson, Christian Rittelmeyer („Frühe Erfahrungen des Kindes, Seele des Kindes vor, während und nach der Geburt“), György Hidas und Jenö Raffai (Entwickler der Bindungsanalyse-Vorgeburtliche Schwangerschaftsbegleitung), David B. Chamberlain, et al.
6 https://www.schroth-apv.com/Bilder/BindungsAnalyse_dt_schroth-apv.pdf (Zugriff: 08.08.2023)
7 https://www.who.int/teams/mental-health-and-substance-use/promotion-prevention/maternal-mental-health (Zugriff 05.08.2023)
8 Görtz-Schroth, A. Fortschritte in Schwangerschaft und Geburt durch Bindungsanalyse (S.10-17)
9 https://www.efcni.org/wp-content/uploads/2018/03/german_translation_of_benchmarking_report.pdf (Zugriff: 09.08.2023)
10 Blazy, H. (2022). Bindung im und Trennung vom ersten Zuhause, (S.10-17). Mattes Verlag.
11 (Einführung in die Bindungsanalyse . Homepage Dr. Schroth 31210 rev.) (schroth-apv.com) (Zugriff: 08.08.2023)
12 VRANNI: Fragen: V: Welche Vorteile hat die Maßnahme?, R: Welche möglichen Risiken/Folgen gibt es?, A: Gibt es Alternativen? Wenn ja welche? Welche Risiken/Folgen haben sie?, N: Was kann passieren, wenn wir nichts tun?, N: Handelt es sich um einen Notfall? Wie schnell muss die Entscheidung getroffen werden?, I: Was sagt unser Bauchgefühl?ttps://www.dgkj.de/eltern/dgkj-elterninformationen/elterninfo-schreibaby#:~:text=Man%20spricht%20von%20einem%20Schreibaby,nur%20als%20grober%20Richtwert%20dienen (Zugriff: 09.08.2023)
13 https://www.familienhandbuch.de/unterstuetzungsangebote/beratung/schreiambulanzen.php, https://www.elternsein.info/suche-schreiambulanzen/, https://www.gesundheit.gv.at/leben/eltern/nach-der-geburt/schreiambulanz.html, (Zugriff: 08.08.2023)
14https://www.ippe.at/babytherapy/ (Zugriff: 08.08.2023)
15www.kelaridis.at (Zugriff: 08.08.2023)