Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Reinhold Kerbl, Vorstand der Abteilung für Kinder und Jugendliche, LKH Hochsteiermark, Standort Leoben, Leoben, Österreich
Kerbl: Eltern erkennen die Saugverwirrung daran, dass das Baby den Mund entweder nicht adäquat formen kann oder sich eben von der Mutterbrust wegdreht. Vereinfacht gesagt: Das Stillen „funktioniert nicht". Hilfe bieten dann v.a. Hebammen, Stillambulanzen, Stillberaterinnen, oder eben der Kinderarzt.
Kerbl: Flaschenfütterung und Schnullerverwendung wurden oft mit der (sogenannten) Saugverwirrung in Verbindung gebracht, und von deren Verwendung wurde daher oft auch militant abgeraten. Allerdings gibt es keine wissenschaftlichen Nachweise, dass Beruhigungsschnuller Stillfrequenz und Stilldauer negativ beeinflussen. Persönlich halte ich Beruhigungsschnuller für eine gute Möglichkeit, Säuglinge zur Ruhe kommen zu lassen und ihr physiologisches Saugbedürfnis zu befriedigen.
Kerbl: Diese Empfehlung beruhte eben auf der Annahme, dass sich die Schnullerverwendung negativ auf das Stillen auswirkt. Mittlerweile gibt es aber sehr gute Studien, die diese Annahme widerlegen. Die Baby Friendly Hospital Initiative hat auf diese Erkenntnisse auch sprechend reagiert und das frühere „Verbot" durch adäquate Beratung („counseling instead of banning") ersetzt.1
Kerbl: Frühgeborenenschnuller sind an sich ein Medizinprodukt und man kann sie irgendwie wie ein Medikament ansehen, weil sie für Frühgeborene mehrere Vorteile haben. Einerseits tragen sie zur Schmerzlinderung bei Eingriffen und anderen Interventionen bei, sie ermöglichen die Beruhigung der Frühgeborenen unter oft schwierigen Bedingungen (z. B. auf einer neonatologischen Intensivstation), und sie können - auch dann wenn die Neugeborenen noch sondiert werden müssen - die Gewichtszunahme beschleunigen und dadurch den Intensivaufenthalt verkürzen.
Kerbl: Neben den Kinder- und Jugendärzten sind es insbesondere die Zahnärzte, die mit der Schnullerfrage konfrontiert sind. Dies deshalb, weil lange dauernde oder unsachgemäße Verwendung eines Beruhigungsschnullers zu Zahnfehlstellungen wie Kreuzbiss oder Überbiss führen können. Beruhigungsschnuller sollen daher wirklich nur zur Beruhigung eingesetzt werden, und spätestens im dritten Lebensjahr sollte eine Schnullerentwöhnung erfolgen.
Kerbl: Ich glaube, dass Österreichs Kinder- und Jugendärzte sehr gut über adäquaten Schnullergebrauch informiert sind und Nutzen und mögliche Risiken richtig einschätzen. Insbesondere wissen Österreichs Pädiater auch über die mögliche protektive Wirkung im Hinblick auf den plötzlichen Säuglingstod (SIDS) Bescheid. Und nach meiner Erfahrung wissen sie auch die „Saugverwirrung“ richtig einzuordnen.
1Kerbl R. (2019) Counseling instead of prohibiting: The new Baby Friendly Hospital Initiative. Monatsschr Kinderheilkd 167:89
First publication: Paediatr. Paedolog. 2019;54:238–239; www.springermedizin.at/saugverwirrung-gibt-es-denn-sowas/17286296 © Springer-Verlag GmbH Austria, part of Springer Nature 2019.