Frau sitzt auf Sofa und shoppt online für ihr Baby dabei betrachtet sie einen Baby-Strampler, den sie in den Händen hält

Scientific Article

Die Pandemie und das Gesundheitswesen: Welche Rolle spielt die Telemedizin?

Alexandre Kim Sangalan Sasaoka


Die Pandemie

Coronaviren sind eine größere Gruppe von Krankheitserregern, die Mensch und Tier befallen können. Ende 2019 wurde ein neuartiges Coronavirus als Ursache für eine Reihe von Lungenentzündungsfällen in Wuhan identifiziert, einer Stadt in der chinesischen Provinz Hubei. Das Virus breitete sich schnell zu einer Epidemie in ganz China aus. Es folgten zunehmend Infektionen in anderen Ländern auf der ganzen Welt. Im Februar 2020 gab die Weltgesundheitsorganisation der durch das Virus verursachten Erkrankung den Namen „COVID-19“, was für „COronaVIrus Disease 2019“ steht und so viel heißt wie „Coronavirus-Erkrankung 2019“.1
Im Januar 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation den Ausbruch von COVID-19 zum Notfall der öffentlichen Gesundheit und nannte als wichtigste Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit Social Distancing (im physischen Sinne), Handhygiene und das Bedecken von Mund und Nase. Die Menschen sollten so viel wie nur möglich zu Hause bleiben.2
Es gibt immer noch keine vollständigen Daten zu den tatsächlichen Auswirkungen der Pandemie auf die Gesundheit der Menschen. Aber es gibt vorläufige Informationen von verschiedenen Kliniken, die auf rückläufige Zahlen bei der Behandlung von Patienten mit chronischen Erkrankungen hinweisen.3,4
In zahlreichen Krankenhäusern wurden chirurgische Eingriffe und andere Behandlungen, wie beispielsweise Chemotherapie und Bestrahlung, verschoben. Ärzte machen sich immer noch Sorgen um gesunde Patienten oder Patienten mit heilbaren Krebsformen, bei denen eine frühzeitige Diagnose und Behandlung besonders wichtig ist, die aber Angst vor einer Corona-Infektion haben und das Risiko einer COVID-Infektion für größer halten als die Vorteile einer frühzeitigen Krebsdiagnose und -behandlung.5
Dies hat zu einem erheblichen Wandel in der Gesundheitsversorgung einer Bevölkerungsgruppe geführt, die regelmäßig medizinisch betreut werden muss. Ein Unterbrechen der vorgeburtlichen Versorgung schwangerer Frauen ist jedoch keine Option.

Die Pandemie und Schwangerschaften

Auch bei Paaren mit Kinderwunsch vollzog sich ein ähnlicher Wandel: Auf dem Höhepunkt der Pandemie entschieden sich viele Paare dazu, ihren Kinderwunsch erst einmal auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Es gibt keine Daten zu ausgebliebenen Schwangerschaften in 2020, aber Anfang 2021 ging die Zahl schwangerer Frauen deutlich zurück.6
Diese Zeit des Jahres 2020 war eine Zeit des Lernens. Es wurden Expertise und Technologien zur medizinischen Betreuung unter diesen veränderten Umständen entwickelt, auch zur Überwachung von Schwangeren und zur Betreuung von Paaren mit Kinderwunsch. Man setzte hier auf eine Kombination aus zeitsparenden, praktikablen Online-Sprechstunden und sicheren Plattformen zur Durchführung planmäßiger Untersuchungen, um ein dichtes Beisammensein vieler Menschen zu verhindern. Es wurde insbesondere eine verstärkte Nachfrage nach Plattformen und Technologien beobachtet, die Ärztinnen und Ärzte in ihrer Klinik einsetzten.
In vielen Fällen steht jedoch immer noch keine geeignete Technologie zur Verfügung, die einen persönlichen Termin in der Praxis und medizinische Untersuchungen durch eine Hebamme (z. B. die Beurteilung vaginaler Ausscheidungen oder das Abtasten der Gebärmutter) ersetzen könnten. So gilt die Telemedizin als Ergänzung zur persönlichen Betreuung durch medizinisches Fachpersonal, da sie einen Besuch in der Praxis zwar noch nicht ersetzen kann, aber sich durchaus für gezielte Fragen oder Tipps etwa zur Einnahme von Medikamenten oder zur Deutung von Laborergebnissen eignet. So müssen Patientinnen ihr Zuhause nicht für den Gang zur Arztpraxis verlassen und sie laufen weniger Gefahr, sich mit COVID-19 zu infizieren.
Vor allem Schwangere, die keine Risikoschwangerschaft aufweisen, gehören zu den Patientinnen, die von telemedizinischen Angeboten profitieren können. Keine Risikoschwangerschaft heißt, dass weder die Mutter noch das Baby eine Erkrankung haben. So geht man in den USA beispielsweise davon aus, dass 85 % aller Schwangeren keine Risikoschwangerschaft haben – durch telemedizinische Angebote mussten diese Patientinnen ihren Arzt bzw. ihre Ärztin deutlich seltener aufsuchen; sie konnten sich so besser vor einer Infektion mit COVID-19 schützen und zugleich gut von ihrem Arzt bzw. ihrer Ärztin betreut werden.
An der Mayo-Klinik in den USA haben Studien gezeigt, dass die Telemedizin eine gute Option für Schwangere ohne Risikoschwangerschaft darstellt, durch effektive Selbstbeobachtung, den Austausch mit Ärzten und Gesundheitsexperten im Online-Chat und ein Forum unter der Leitung einer Hebamme, in dem viele schwangere Frauen miteinander ins Gespräch kommen können. Dabei waren folgende Vorteile offensichtlich:

  • erhöhtes Gefühl von Kontrolle und Sicherheit
  • geringe Kosten für diese Form der medizinischen Betreuung
  • besserer Zugang für schwer kranke Patientinnen
  • zufriedenere Patientinnen
  • weniger Arbeitsausfall
  • Partnerschaft zwischen Betreuungsteams und Schwangeren

In ländlichen Gegenden wohnende Schwangere erhalten Zugang zu Gesundheitsexperten und Fachärzten aus anderen Orten und Regionen. Dies ermöglicht ein großflächigeres, breiter aufgestelltes Betreuungsnetzwerk. Die betroffenen Patientinnen müssen keine langen Anfahrten mehr auf sich nehmen und die Qualität ihrer medizinischen Betreuung verbessert sich dadurch.7,8

Statistik

Datenerhebungen aus Australien zufolge erhielt 1 von 10 Schwangeren an Stelle der vorherigen persönlichen Betreuung telemedizinische Angebote; 87,5 % von ihnen wählten in Australien das Telefon.
Die australische Gesundheitsbehörde Australian Institute of Health and Welfare verglich Daten aus 2019 und 2020 miteinander und stellte fest, dass die Zahl persönlicher Arztbesuche um 136.000 zurückging, was einem prozentualen Rückgang von 8,3 % entspricht. Vergleicht man die Daten aus der zweiten Jahreshälfte 2020 mit dem entsprechenden Vorjahreszeitraum, betrug der Rückgang sogar 15 %.9
Die in Großbritannien durchgeführte GLOW-Studie zielte auf die Gewichtszunahme übergewichtiger oder fettleibiger Patientinnen während der Schwangerschaft ab. Die in die Studie einbezogenen Schwangeren nahmen weniger zu als Schwangere, die eine persönliche Betreuung erhielten, und sie verbesserten ihre Lebensweise und ihre Stoffwechselparameter. Aus der Gruppe, die eine telemedizinische Betreuung in Anspruch nahm, kam es bei 48 % der Schwangeren zu einer Gewichtszunahme, bei der persönlich betreuten Gruppe waren es 69 %. Da die Studie jedoch nur bei gezielt ausgewählten Patientinnen durchgeführt wurde, lassen sich daraus nicht unbedingt Schlüsse für die allgemeine Bevölkerung ziehen.

Vor- und Nachteile der Telemedizin

Im ersten Schwangerschaftstrimester müssen die Gewichtszunahme und der Blutdruck regelmäßig überwacht werden. Das können die Schwangeren allerdings auch selbst machen und die Daten dann an den betreuenden Arzt bzw. an die betreuende Ärztin schicken. Es gibt auch schon internetkompatible Geräte zur Auswertung entsprechender Daten. Dies kommt aber natürlich nur für Patientinnen infrage, bei denen weder die Mutter noch der Fötus besondere Risiken aufweisen.
Ein wichtiger Aspekt persönlicher Untersuchungen tritt im zweiten Schwangerschaftstrimester in den Vordergrund, denn hier müssen der Blutdruck, das Wachstum und die Herzfrequenz des Fötus besonders oft kontrolliert werden.
Ein Nachteil einer telemedizinischen Betreuung liegt darin, dass Körpersprache und Mimik am Telefon nicht zu sehen sind und daher auch keinen Aufschluss über die Gemütslage der Patientin geben können.
Diesem Nachteil steht jedoch der Vorteil gegenüber, dass Frauen in ländlichen Gegenden Zugang zu Gesundheitsexperten und Fachärzten aus anderen Regionen haben. Sie profitieren von einem größeren Netzwerk der Gesundheitsversorgung und müssen keine lange Anreise zu größeren Kliniken mehr auf sich nehmen.10
Die persönliche Sprechstunde bietet zweifelsohne eine viel umfassendere Betreuung als die Telemedizin. Trotzdem ist die Telemedizin eine praktikable Option für Patientinnen, die persönliche Praxisbesuche ergänzen und, in dem ein oder anderen Fall, sogar ersetzen kann.11

Alexandre Kim Sangalan Sasaoka

Gynäkologe

Alexandre Kim Sangalan Sasaoka hat sein Medizinstudium 2007 an der Medizinischen Fakultät der Universität Santo Amaro in São Paulo, Brasilien, abgeschlossen. Er machte eine dreijährige Weiterbildung in den Bereichen Gynäkologie und Geburtshilfe an der Klinik Santa Casa de São Paulo, wo er sich im Anschluss daran auf den Bereich Fetalmedizin spezialisiert hat. Am Kinderkrankenhaus Philadelphia konnte er 2014 sein Fachwissen im Bereich der Fetalchirurgie ausbauen; zurzeit arbeitet er in seiner Privatklinik. An der Medizinischen Fakultät der Universidade Federal de São Paulo hat er einen Masterabschluss im Bereich Fetalchirurgie, Fachgebiet Geburtshilfe, gemacht, und er bietet auch Dienstleistungen im öffentlichen Gesundheitswesen an.

1World Health Organization. Director-General's remarks at the media briefing on 2019-nCoV on 11 February 2020. http://www.who.int/dg/speeches/detail/who-director-general-s-remarks-at-the-media-briefing-on-2019-ncov-on-11-february-2020 (Accessed on February 12, 2020).
2Honein MA, Christie A, Rose DA et al. Summary of Guidance for Public Health Strategies to Address High Levels of Community Transmission of SARS-CoV-2 and Related Deaths, December 2020. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 2020;69(49):1860. Epub 2020 Dec 11.
3Yu J, Ouyang W, Chua MLK, Xie C. SARS-CoV-2 Transmission in Patients With Cancer at a Tertiary Care Hospital in Wuhan, China. JAMA Oncol. 2020;6(7):1108.
4Lewis MA. Between Scylla and Charybdis - Oncologic Decision Making in the Time of Covid-19. N Engl J Med. 2020;382(24):2285. Epub 2020 Apr 7.
5Cannistra SA, Haffty BG, Ballman K. Challenges Faced by Medical Journals During the COVID-19 Pandemic. J Clin Oncol. 2020;38(19):2206. Epub 2020 Apr 8.
6ALVES, JED. Cai a natalidade e a fecundidade nos EUA depois da pandemia da covid-19, Ecodebate, 07/12/2020
7Marko, Kathryn I, et al. “Testing the Feasibility of Remote Patient Monitoring in Prenatal Care Using a Mobile App and Connected Devices: A Prospective Observational Trial.” JMIR Research Protocols, vol. 5, no. 4, 2016, doi:10.2196/resprot.6167.
8Mooij, Marnie J. Meylor De, et al. “OB Nest: Reimagining Low-Risk Prenatal Care.” Mayo Clinic Proceedings, vol. 93, no. 4, 2018, pp. 458–466., doi:10.1016/j.mayocp.2018.01.022.
9Liotta M. Pandemic Pregnancy Care: telehealth versus faco-to-face 2018 The Royal College of General Practioners, 2018
10Reynolds RM. Telehealth in pregnancy. Lancet Diabetes Endorcinol. 2020 Jun; 8(6):459-61.
11Liotta M. Pandemic Pregnancy Care: telehealth versus faco-to-face 2018 The Royal College of General Practioners, 2018.